Das Zentrum für Heilpädagogik war unser erster Partner in Russland und ist seitdem unser wichtigster Kontakt geblieben. Die Entwicklung von Iwanuschka ist eng mit der Zusammenarbeit mit den Menschen im Zentrum verbunden, und wir haben ihnen viel zu verdanken: Man kann die Leiter des Zentrums, Anna Bitova und Roman Pawlovitsch, vielleicht sogar als Vater und Mutter von Iwanuschka bezeichnen. In vielen Gesprächen und Projekten haben sie unser Selbstverständnis mitgeprägt und uns zu immer neuen Schritten ermutigt.
Seit der Gorbatschow-Ära ist das Zentrum Wegbereiter für ein würdevolles Miteinander mit schwer- und mehrfachbehinderten Kindern in Russland. Gegründet wurde es 1988 von Eltern und Pädagogen, die in den staatlichen Internaten keine Möglichkeit für einen integrativen und therapeutischen Umgang mit behinderten Kindern sahen. Ermutigt durch das offenere politische Klima der Perestroika gründeten sie eine private Therapie- und Tageseinrichtung für Kinder mit Behinderungen. Inzwischen kümmern sich im Zentrum etwa 50-60 Pädagogen um mehr als 200 Kinder, die dort regelmäßig Einzel- und Gruppentherapien besuchen.
Da es von Anfang an keine Beschränkung gab, mit welchen Kindern gearbeitet wurde, kamen sehr bald vor allem Kinder mit Behinderungen, die in den staatlichen Einrichtungen als nicht therapierbar galten. Das waren zunächst vor allem Autisten, und so entwickelten sich die Mitarbeiter des Zentrums zu Spezialisten und Vorreitern in der Therapie von autistischen Kindern. Inzwischen wenden sich zunehmend schwer mehrfachbehinderte Kinder sowie Kinder, deren Behinderung nicht eindeutig diagnostiziert werden kann, ans Zentrum. Dort versuchen die Therapeuten, die Entwicklungsmöglichkeiten jedes Kindes auszuloten und ihm einen Platz in der Gesellschaft zu finden. Dabei bietet das Zentrum den Eltern auch wichtige Erstberatung und Orientierungshilfe, indem es die Kinder untersucht und sie an Einrichtungen weiterempfiehlt, die in der Nähe des Wohnortes liegen und die es kennt und denen es vertraut. Das ermöglicht dem Zentrum, sich um diejenigen Kinder zu kümmern, für die es bislang noch keine Therapiemöglichkeiten gibt.
Die zentralen Grundsätze des Zentrums für Heilpädagogik sind die Integration der Kinder in die Gesellschaft, die Überzeugung, dass jedes Kind lernfähig ist, ein Pluralismus verschiedener Behandlungs- und Erziehungsmethoden, eine ganzheitliche Sicht auf Kinder mit Behinderungen und das Bewusstsein von der Würde und Individualität jedes Kindes.
Das Zentrum hat sich über die Therapiearbeit hinaus zu einer Geburtsstätte von neuen Initiativen und zu einem Anwalt für einen menschenwürdigen Umgang mit Behinderten in Russland entwickelt. Vom Zentrum sind viele neue Organisationen und Impulse ausgegangen, wie die Gründung des Verlags Terevinf für heilpädagogische Literatur, die Sonderschule „Unser Haus“ im Moskauer Stadtteil Jasenewo und die Elternschule „Doroga v Mir“. Darüber hinaus sucht das Zentrum beständig nach Möglichkeiten und Ideen, die Lage von behinderten Kindern zu verbessern, auf politischer Ebene für ihre Rechte einzutreten und in Russland die Heilpädagogik und neue Therapiemethoden und Ansätze zu verbreiten. Ebenfalls mit unserer Unterstützung richtete das Zentrum eine juristische Beratung für Eltern mit behinderten Kindern ein und kämpfte mit den Eltern vor Gericht für die Übernahme von Therapiekosten durch den Staat. Daran schloss sich eine politische Arbeit an, mit der die Gesetzgebung und vor allem die Praxis in den zuständigen Behörden verbessert
werden soll. Viele Fortbildungsveranstaltungen und Seminare finden im Zentrum statt.
Das Zentrum finanziert sich zum Teil durch Beiträge der Eltern für die Therapie ihrer Kinder, deren Höhe von den finanziellen Möglichkeiten der jeweiligen Familie abhängig gemacht wird, sowie zum größeren Teil durch Mittel von russischen und ausländischen Stiftungen und Vereinen. Iwanuschka ist inzwischen einer der wichtigsten und verlässlichsten Partner des Zentrums geworden. Das liegt auch daran, dass die großen westlichen Hilfsorganisationen den Schwerpunkt ihrer Hilfsprojekte zunehmend von den russischen Metropolen Moskau und St. Petersburg auf die Provinzen verlagern und sich auch immer stärker in den kleineren Ländern der ehemaligen Sowjetunion wie Moldawien engagieren. Obwohl diese Tendenz prinzipiell begrüßenswert ist, trifft dies vermeintlich etablierte soziale Einrichtungen wie das Zentrum in Moskau hart. So bleibt die Förderung von Kindern mit Behinderungen im Zentrum für Heilpädagogik, mit der wir vor zehn Jahren unser Iwanuschka-Engagement begannen, weiterhin der Schwerpunkt unserer Zusammenarbeit. Wir finanzieren aber darüber hinaus wie in der Vergangenheit auch viele neue Aktivitäten des Zentrums mit, um es bei seinem Einsatz für einen menschenwürdigen Umgang mit Behinderten in Russland zu unterstützen.