Rundbrief Dezember 2018

Liebe Freunde von Iwanuschka,
nun haben Sie schon sehr lange nichts mehr von Iwanuschka und vor allem dem Zentrum für Heilpädagogik in Moskau, seinen Partnerorganisationen und natürlich den Kindern und ihren Familien gehört. Wir möchten uns dafür entschuldigen – wir, die wir vor nunmehr zwei Jahrzehnten unseren Zivildienst oder ein Freiwilliges Soziales Jahr in Moskau gemacht haben, haben inzwischen selber Familien und sind jeder eingebunden in einen leider oft genug straff durchgetakteten Alltag zwischen Kindergarten, Schule, Büro usw. in Berlin, Bochum, Bonn, Hamburg, der Schweiz und Italien… Wir bitten um Ihr Verständnis dafür, dass wir es dadurch nicht geschafft haben, Sie über die Entwicklungen in Moskau auf dem Laufenden zu halten, obwohl wir das gerne getan hätten.

In der Werkstatt

Denn das Zentrum ist nach wie vor sehr aktiv und es gibt immer viel zu berichten – auf ganz unterschiedlichen Gebieten. Neben der eigentlichen Arbeit – der Therapie von behinderten Kindern – standen in den vergangenen Jahren vor allem junge Erwachsene mit Behinderungen im Fokus: Die Eltern der inzwischen herangewachsenen ersten Zöglinge des Zentrums haben sich zu der Organisation „Weg ins Leben“ zusammengeschlossen. Die Organisation hat Schritt für Schritt die Ausbildung junger Erwachsener mit Behinderungen in einem Berufskolleg aufgebaut. Für die Zeit nach dem Berufskolleg wurden professionelle Werkstätten eröffnet, in denen die jungen Menschen auch nach ihrer Ausbildung weiterarbeiten. Seit vergangenem Jahr konnten viele von ihnen in Apartments eines Projekts für betreutes Wohnen einziehen, in denen Mitarbeiter des Zentrums mit ihnen leben und arbeiten. Dies bedeutet für die jungen Menschen einen großen Schritt in die Selbständigkeit, und ihren Familien beantwortet es zum Teil die angstvolle Frage: „Was wird aus meinem Kind, wenn ich nicht mehr die Kraft habe, es zu versorgen?“

Das Zentrum hat sich ja seit langem auch der Ausbildung von Menschen in den verschiedenen Fachbereichen rund um die Förderung behinderter Menschen angenommen – und dazu auch der Publikation entsprechender Fachliteratur auf Russisch. 7149 Fachkräfte, Studenten und Eltern aus ganz Russland haben 2017 im Ausbildungszentrum an den Fortbildungsmaßnahmen und Trainings des Zentrums teilgenommen, in denen die Fachkräfte ihre Erfahrungen aus 30 Jahren weitergeben.

Ungebrochen kämpferisch setzt sich die juristische Abteilung des Zentrums für die Umsetzung der Rechte behinderter Menschen auf Bildung, Förderung und ein menschenwürdiges Leben ein. Ein Schwerpunkt ist dabei die juristische Beratung der Familien von Kindern mit Behinderungen. Ein solches Zentrum für juristische Beratung von Eltern gibt es nicht mehr nur in Moskau: Das Moskauer Modell der Beratung wurde inzwischen in vielen anderen Regionen Russlands kopiert.

Das Zentrum für Heilpädagogik Moskau ist maßgeblich in öffentlichen Gesetzgebungsverfahren beteiligt, was die Rechte von Menschen mit Behinderungen angeht. In einer Arbeitsgruppe des Ministeriums für Arbeit verhandelten Juristen des Zentrums gesetzliche Grundlagen für betreutes Wohnen für junge Erwachsene mit Behinderungen. Außerdem waren sie maßgeblich an einem Gesetzgebungsentwurf über ein gestaffeltes Vormundschaftsrecht beteiligt, über den die Duma abstimmte. Jetzt wird ein junger Erwachsener mit einer Behinderung, der teilweise nicht geschäftsfähig ist, nicht mehr automatisch vollständig und lebenslänglich entmündigt, sondern bekommt nur für bestimmte Lebensbereiche einen gesetzlichen Vormund zur Seite gestellt und auch diese Einschränkung muss in regelmäßigen Abständen richterlich überprüft und kann jederzeit aufgehoben werden.

Besonders freut uns, wie das Zentrum sich bei der Modernisierung der staatlichen Behinderteneinrichtungen engagiert und sich somit auch um Kinder kümmert, die nicht in ihren Familien aufwachsen können. Sie erinnern sich sicherlich an unsere Berichte aus dem staatlichen Internat Nr. 30, wo hunderte Kinder und Jugendliche quasi sich selbst überlassen dahinvegetierten. Von staatlichen regionalen Behörden sind Mitarbeiter des Zentrums inzwischen in eine unabhängige Kommission berufen worden, die den Auftrag hat, staatliche Behinderteneinrichtungen für Kinder und Erwachsene zu überwachen. Anna Bitova, die Leiterin des Zentrums für Heilpädagogik, ist Vorsitzende dieser Kommission. So kontrollierten Experten des Zentrums im vergangenen Jahr 72 Einrichtungen in 18 russischen Regionen. Für die Leitung und die Mitarbeiter der Einrichtungen führten sie vor Ort Seminare über moderne Förder-methoden durch. Außerdem bringen sie die jeweiligen regionalen Regierungsvertreter vom Sozialamt und aus den Bereichen Gesundheit und Bildung sowie regionale NGOs und Eltern an einen Tisch. Gemeinsam entwickeln sie Richtlinien dazu, wie die jeweiligen Heime in Zukunft menschenwürdig geführt und Familien mit behinderten Kindern besser unterstützt werden können.

In der Moskauer Region hat das Zentrum für Heilpädagogik ein Modell entwickelt, bei dem russische Freiwillige – oft Studenten passender Fachrichtungen – im Zentrum angelernt werden, Kinder in staatlichen Heimen zu unterstützen. Die Freiwilligen übernehmen Patenschaften für einzelne behinderte Heimkinder, besuchen sie mehrfach in der Woche und üben mit ihnen, sich selbständig anzuziehen und zu essen und sie spielen mit ihnen. Heimkinder, die bislang nie das Heimgelände verlassen haben, machen mit ihren Paten Ausflüge und lernen so das normale Leben außerhalb kennen: Straßen, Geschäfte, Kinderspielplätze, Busse und Metro – und ihre Mitmenschen. Die Paten bringen ihre Schützlinge auch regelmäßig zu Fördermaßnahmen ins Zentrum für Heilpädagogik. Im vergangenen Jahr wurden 80 Freiwillige auf diese Weise ausgebildet, 119 Kinder haben von einer solchen Patenschaft profitiert (siehe ausführlicher hierzu den Bericht einer Freiwilligen vor Ort).

Einweihungsfeier des neuen Gebäudes

Auch über die Kernarbeit im Zentrum für Heilpädagogik gibt es erfreuliche Neuigkeiten. Von der Stadt Moskau hat das Zentrum ein neues, sehr geräumiges Gebäude an der Metrostation Konkowo zugewiesen bekommen. Dafür sind alle sehr dankbar, denn das kleine gemütliche Zentrum an der Metrostation Universität platzte aus allen Nähten. In dem neuen Gebäude soll nun ein großes Zentrum für Menschen mit Behinderungen entstehen, das Therapie, integrativen Kindergarten, Werkstätten, Schule, kulturelles Zentrum, soziale Begegnung, Ausbildung u.v.m. unter einem Dach vereint. Mit vielen fleißigen Helfern wurden die 6000 Quadratmeter des neuen Gebäudes behindertengerecht geplant und die Renovierungsarbeiten sind in vollem Gang. Zum 1. Oktober konnten bereits einige Therapiegruppen in Konkowo ihre Arbeit aufnehmen und auch der integrative Kindergarten ist hier bereits eröffnet. Die Proberäume für das Musikensemble des Zentrums sind soweit fertig und werden genutzt. Natürlich wird auch das ursprüngliche kleine gemütliche Gebäude erhalten bleiben, denn je mehr Niederlassungen des Zentrums es in Moskau gibt, desto kürzer sind die beschwerlichen Wege für die Kinder zu ihrer Therapie.

2019 wird für unsere Partner in Russland ein besonderes Jahr, denn da feiert das Zentrum für Heilpädagogik sein 30-jähriges Bestehen. Wir freuen uns, dann wieder aus Moskau zu berichten.

Wir sagen Ihnen ganz herzlich Dank für Ihre Hilfe und ihre guten Gedanken und wünschen Ihnen eine besinnliche, friedvolle Weihnachtszeit und alles Gute für das neue Jahr 2019!

Ihr Förderkreis Iwanuschka
i.A. Anna Feger

Finanzbericht 2016, 2017 & 2018